Beobachtet
Stille. Ein Stillarbeitsraum schließlich. 20:00 Uhr, das Gebäude ist so leer. Über Tag hat es gebrummt wie ein Bienenstock, abends wird es unwirklich ruhig. Das letzte Licht fällt duch die hohe Glaswand, meine Gedanken wandern bewundernd durch die asymmetrischen Räume. Modern, offen, gläsern, viel Beton, unfertig, ein bisschen gelb, orange, und Tischplatten mit Rasenaufdruck. Meine Phantasie schlägt Purzelbäume. Von meinem Platz aus schaue ich direkt auf den einzigen anderen Studenten im Raum. Das letzte Licht der Abendsonne streichelt sein Profil, denn er hat das Gesicht der Glasfassade zugewandt. Absolut konzentriert, absolut still, und ich gehe in dem diskreten Voyeurismus völlig auf. Schwarzafrikaner, schöne Unterarme, rasierter Kopf. Seine Hände führen vor seinen Augen seinen sinnlichen Tanz auf, er prägt sich offenbar mathematische Formeln ein und benötigt dafür visuelle Hilfen. Die Finger messen abstände, drehen Piruetten, fließend und elastisch, in der völligen Stille. Hypnotisch und wunderschön. Plötzlich dreht er sich wieder seinen Buch zu, wir sitzen einander frontal zugewandt, und ich senke schnell meinen Blick.
Nachtgezwitscher - 1. Mai, 08:28